Welche Fähigkeiten GründerInnen brauchen, um Erfolg zu haben.
Das Internet ist voller Listen mit Titeln wie „Diese 10 Dinge machen erfolgreiche Unternehmer richtig“ oder „Diese sechs Eigenschaften brauchst du zum Gründen“. Dort finden sich Dinge wie „Komm immer pünktlich“ oder „Sei stets der erste im Büro, und der letzte, der geht“. Doch für jede Verhaltensweise, die hier gelistet ist, kennt jede/-r von uns eine/-n erfolgreiche/-n UnternehmerIn, der / die gerade diese nicht befolgt.
Vielleicht geht es bei den Eigenschaften, die man mitbringen sollte, um ein Unternehmen erfolgreich aufzubauen, gar nicht so sehr darum, zu welcher Uhrzeit man morgens beginnt, sondern vielmehr um grundlegende Einstellungen und Fähigkeiten. Welche das sind, und ob man diese Qualitäten in sich selbst wecken oder trainieren kann, darüber sprachen wir mit zwei Menschen, die aus eigener Erfahrung wissen, worauf es ankommt: eine Startup-Expertin, die schon Hunderte GründerInnen beraten und begleitet hat, und einen Jungunternehmer, der bereits mit 17 Jahren sein erstes Unternehmen gründete.
Vor der Gründung und im ersten Jahr
Wenn man Severin Rath fragt, welche Eigenschaften ihm vor der Gründung und im Anfangsstadium stets am meisten geholfen haben, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Neugier, Kreativität, Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit. Aber“, fährt er fort, „jeder dieser Begriffe braucht gewissermaßen eine Fußnote. Da steckt mehr dahinter.“
Der Funke, der entsteht.
Da wäre zuerst die Neugier. „Ich war immer schon neugierig“, sagt der 20-jährige Jungunternehmer. „Meine Mutter würde sagen, ich wollte immer alles zu früh haben.“ Schon als Kind eiferte er dem großen Bruder nach. „Auch beim Unternehmertum hat mich gereizt, etwas zu schaffen, was andere in meinem Alter noch nicht erreicht haben.“
Neugier muss nicht angeboren sein, davon ist Severin Rath überzeugt. „Du musst eine Passion entwickeln, sei es ein Hobby oder ein bestimmtes Wissensgebiet. Die Neugier entwickelt sich dann ganz von selbst. Und in Folge alle anderen Eigenschaften, die ich genannt habe.“
Sein derzeitiges Standbein, das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Zgefragt, das Rath als Teil des Startups Reeblr Consulting gegründet hat, sei das beste Beispiel: „Ich wollte meiner Generation, also den 13- bis 23-Jährigen der „Generation Z“, eine Stimme geben und auf ihre Lebenswelt und Bedürfnisse aufmerksam machen“, erklärt er die Motivation hinter seiner Unternehmensgründung. Dazu muss ich wissen, wie diese Generation tickt. Das war die Neugier. Dann war Kreativität gefragt: Wie entwickle ich neue Abfragemethoden, die meine Zielgruppe besser in ihrer Lebenswelt abholen?“ Durchhaltevermögen entwickelte er, um Hürden und Probleme zu überwinden, Rechtliches, Amtswege, technische Probleme – den ganzen nervenzehrenden bürokratischen Aufwand, der beim Gründen anfällt. Und schließlich folgte die Zielstrebigkeit: „Was ist meine Vision? In welchen Etappen und mit welchen Instrumenten komme ich dorthin?“ Anders ausgedrückt: „Die Vision wird zur Mission und die führt schließlich zum Erfolg.“ Sein Etappenziel fürs Gründungsjahr konnte Severin Rath auf diese Weise sogar übertreffen: „Ich habe im ersten Jahr drei Millionen Abfragen generiert – zwei Millionen mehr, als ich ins Auge gefasst hatte.“
Was Hänschen schon lernt …
Der 2009 verstorbene amerikanische Motivationstrainer Jim Rohn hinterließ den berühmten Satz: ,Du bist der Durchschnitt der fünf Personen, mit denen du die meiste Zeit verbringst.‘ Severin Rath kann dem viel abgewinnen. „Wenn man aus einer Unternehmerfamilie stammt wie ich, bekommt man viel mit. Aber ich kann mir ein solches Umfeld auch bewusst zulegen, mit dem gleichen Effekt.“ Deshalb gelte es auch, unternehmerische „Soft Skills“ wie Netzwerken zu trainieren: „Beim Networking mit anderen GründerInnen riechst du förmlich den Unternehmerspirit, du bist unter Gleichgesinnten, kannst Erfahrungen austauschen und dir Motivation holen. Oft ergeben sich beim Treffen coole Sachen: neue Ideen, neue PartnerInnen, Kontakte …“
Welche Rolle spielen dabei Erwartungen an sich selbst? „Ich denke, das kommt auf den Persönlichkeitstyp an“, meint Severin Rath. „Ich selbst setze sehr hohe Erwartungen in mich. Und wenn ich diese nicht erfülle, bin ich doch meist viel weitergekommen, als hätte ich von vornherein die Latte niedriger gesetzt. Für mich hat sich dieses „größer Denken“ als der beste Weg erwiesen. Die Herausforderung dabei ist, nicht deprimiert zu sein, wenn es mal nicht klappt.“
Auch das hat er bereits erlebt. „Ich wollte eine App entwickeln, mit der man mit einer einzigen Applikation auf alle E-Scooter-Anbieter zugreifen kann. Irgendwann musste ich einsehen, dass meine Vorstellung aufgrund der Technik und der damaligen Pandemie-Situation nicht umsetzbar war.“ Loslassen können sei eine wichtige Eigenschaft im Unternehmertum. „Nicht lange rumjammern. Einen Cut machen und weitergehen. Und immerhin weiß ich jetzt, wie man eine App entwickelt. Dieses Wissen nützt mir bestimmt irgendwann.“ Überzeugter Nachsatz: „Du kannst gar nicht verlieren. Denn entweder du gewinnst – oder du lernst.“
Die ersten fünf Jahre
„Zum Glück wissen GründerInnen nicht, was alles auf sie zukommt!“, lacht Selma Prodanovic. „So mancher würde den Schritt vielleicht gar nicht wagen.“ Sobald die aufregende erste Zeit der Gründung hinter ihnen liegt, weiß die Startup-Expertin, glauben viele GründerInnen, jetzt werde alles leichter. „Aber das stimmt nicht“, sagt Prodanovic. „Jetzt geht es erst richtig los.“ Ein Unternehmen sei kein Sprint, sondern ein Marathon. „Begeisterung und Leidenschaft allein tragen einen jetzt nicht mehr durch. Was jetzt zählt, ist, ob du trainiert hast und wie du dir die Kräfte einteilst.“
Irgendwas ist immer.
Im ersten Jahr war man allein, zu zweit, vielleicht zu viert, als Gründerteam, jede/-r für sich motiviert und sprühend vor Energie. Das Schiff wurde von Schlepperbooten und unter Kapellenklängen aus dem Hafen gezogen. Jetzt gilt es, auf dem offenen Meer zu bestehen. Und mitunter schlägt das Wetter plötzlich um …
Ereignisse wie Krieg oder Pandemie, die Lieferketten durchtrennen und Rohstoffe verteuern, können sämtliche Pläne über den Haufen werfen. Der unerwartete Ausfall eines großen Kunden ebenso. Oder der technische Leiter hat einen Unfall und muss auf Reha … Der Druck kommt von allen Seiten und oft genug aus einer überraschenden Richtung. Mit dem / der ersten Angestellten tritt zudem ein Phänomen auf, auf das viele nicht vorbereitet sind: Denn der / die neue MitarbeiterIn soll dem / der GründerIn Arbeit abnehmen und ihm / ihr Zeit sparen. Das tut er im Idealfall auch – dafür verbraucht er mehr von dessen emotionaler Kraft. Und sind es erst fünf, 20 oder 500 MitarbeiterInnen, multipliziert sich der Druck, der dadurch entsteht. MitarbeiterInnen brauchen Zuspruch, Rat, eine gesunde Arbeitsumgebung und gute Vibes. All das holen sie sich im Idealfall beim Chef, bei der Chefin. Aber woher holt sich diese/-r die Kraft dafür?
Alarmsignal: Zweifel.
„Spätestens in dieser Phase musst du wissen, warum du das Ganze machst“, sagt Selma Prodanovic. „Nur reich werden ist selten Grund genug, sich das alles anzutun. Du brauchst einen Sinn, einen Purpose.“ Doch mitunter erreichen GründerInnen einen Punkt, an dem die Frage hochkommt: ,Warum tu ich mir das überhaupt an?‘
„Fast immer sind solche Zweifel ein Symptom für Burnout“, sagt Selma Prodanovic. „Viele arbeiten 18 Stunden am Tag. Das geht ein Jahr gut, vielleicht zwei, aber sicher nicht fünf Jahre.“ Ein Burnout schleicht sich langsam an. Zuerst kommt die ständige Müdigkeit. Dann der Zweifel. Irgendwann fällt selbst die einfachste Entscheidung schwer. „Wenn du an deinem Schreibtisch sitzt und nicht mehr weißt, ob die Schrift auf dem Flyer Blau oder Schwarz sein soll, ist klar: Du bist ausgebrannt.“
Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich.
Zwei Eigenschaften werden mit Fortschreiten des Unternehmens immer wichtiger: „Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und ein funktionierender Selbstschutzmechanismus. Wobei das eine im Idealfall zum anderen führt.“ Diese Fähigkeiten müssen gepflegt und trainiert werden. Ob das gemeinsam mit einem Coach geschieht oder mit fixen Yogasessions – „Wichtig ist, dass man wachsam bleibt, in sich hineinhört und ehrlich reflektiert, was gerade in einem passiert.“
Unter sehr jungen GründerInnen sei das zum Glück kein Tabu mehr. „Die setzen sich schon bewusst mit dem Thema auseinander. In die Gefahr des Burnouts geraten sie trotzdem.“ Gerade wer sich als EPU selbständig macht, glaubt, alles können zu müssen – Webseite bauen, Buchhaltung, Marketing … „Die rennen von einer Fortbildung zur nächsten, statt zu sagen: Stopp! Ich muss nicht alles können“, sagt Selma Prodanovic. „Besser ist es, von Tag eins weg Leute um sich herum zu haben, mit denen man reden kann, und Aufgaben abzugeben. Auch als EPU. Dabei muss kein Geld fließen. Dann tauscht man eben Webseite bauen gegen Kundenakquise.“
In den USA gibt es bereits den Trend, dass InvestorInnen Teile des Geldes, das sie in ein Unternehmen stecken, explizit den Bereichen Coaching, Therapie und Mitarbeitergesundheit widmen. „In Wien ist dieser Gedanke erst im Entstehen“, weiß Selma Prodanovic, „Noch besser ist natürlich, wenn man als GründerIn / UnternehmerIn selbst einen solchen Akzent im Unternehmen setzt.“
Das Beste, was passieren kann.
Die meisten Menschen machen sich selbständig, weil sie die Gestaltungsfreiheit lieben. „UnternehmerIn zu sein, ist für diese Menschen das Beste, was ihnen passieren kann“, weiß Selma Prodanovic aus vielen Gesprächen. In den ersten fünf Jahren eines Unternehmens sollte man als GründerIn jedoch auch herausfinden, wo die eigenen Stärken liegen und in welcher Rolle man dem Unternehmen am meisten nützt. „Diese Rolle gilt es dann anzunehmen und ausbauen und alles andere zu delegieren – selbst dann, wenn es der Posten des CEOs ist. Es gilt im Sinne des Unternehmens zu entscheiden und es nicht persönlich zu nehmen.“
Um Dinge nicht zu persönlich zu nehmen, muss man jedoch erst einmal erkennen, dass man sie persönlich nimmt. Selma Prodanovic ist eine große Freundin externer UnterstützerInnen: „Das können ein guter Coach, TherapeutInnen oder BeraterInnen sein oder Treffen mit anderen UnternehmerInnen, die schon weiter sind und alles selbst durchlebt haben.“ Aus dutzenden Beispielfällen weiß sie: „Meist finden selbst ausgebrannte GründerInnen ihre Freude am Unternehmertum wieder, wenn sie ehrlich mit sich selbst sind und machen, was ihnen guttut. Und wie wir wissen: Geht’s dem CEO gut, geht’s der Firma gut.“