Einiges zum Thema New Work konnte man bereits in den frühen 80ern erfahren, wenn man sich im Kreis des Österreichisch-US-amerikanischer Philosophen und Begründers der „New Work“-Bewegung Frithjof Bergmann bewegte. [1]

Bei uns, im Deutschen Sprachraum, kam das Thema zuletzt vermehrt in den 10er Jahren auf und gipfelt aktuell in immer mehr Beiträgen, Konferenz- und Veranstaltungs-Slots und neuerdings auch Clubhouse Talks.

Was ich dort zu lesen und zu hören bekam, hat mich dazu gebracht, diesen Artikel zu schreiben, da es mir ein Anliegen ist, dass die Idee des New Work nicht von diversen Industrien bzw. der Politik neu interpretiert und in Folge für Werbe- und kurzfristige, wirtschaftliche Zwecke missbraucht wird, so wie es bereits teilweise mit Begriffen, wie z.B. Agilität oder Digitalisierung der Fall ist. Vielmehr ist es mir ein Anliegen, dass das Thema New Work in seiner sinnhaften Tiefe verstanden wird, damit es den Arbeitsalltag und damit die Wirtschaft im Allgemeinen zukunftsfit machen kann.

Wenn man sich durch bekannte Business-Plattformen wie LinkedIn, oder Xing klickt und gezielt nach New Work Themen ausschau hält, bekommt man den Eindruck, dass aktuell scheinbar die Meinung vorherrscht, dass es sich bei “New Work” um eine Methode der digitalen Zusammenarbeit zwischen allen Arten von Büro- oder Konzern-Angestellten handelt. Da fallen, speziell gefördert durch die aktuelle Zwangs-Office-Pause, im Zusammenhang mit der Corona Pandemie, Schlagworte wie “Remote Work”, oder “Flexible Home-Office Zeiten”. Daran geknüpft folgen unzählige Diskussionen darüber, wie man das löst und wer wie lange daheim sein darf, oder Zeit im Office verbringen soll und wie man mit all den digitalen Tools am besten kommuniziert und welches neue Breitband und 5G Netzwerk man dafür braucht. Andere meinen, dass es etwas mit sexy Büromöbeln, oder der Bereitstellung eines besonderen Arabischen Kaffees inklusive Mühle zu tun hätte.

New Work hat nichts mit Tools zu tun

Nunja, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Idee Frithjof Bergmanns unter anderem der Beobachtung entspringt, dass Automatisierung dazu beiträgt, dass diverse Arten der Arbeit sich verändern. Und ja, Flexibilisierung von Arbeit ist hilfreich, das alleine reicht aber nicht aus. Der Gedanke New Work soll nicht dazu dienen, uns damit zu beschäftigen, über welche Tools wir zukünftig kommunizieren und wer wie lange im Home Office sitzt, oder ob wir eine fancy Büroausstattung haben, sondern er soll vielmehr eine neue Welt eines tatsächlichen Freiheitsbegriffes (“Was ich wirklich, wirklich will”) eröffnen. [2][3]

Sinn, das ist das Ansinnen von Frithjof Bergmann – und Sinn ist erstmal völlig losgelöst von jedweder Art kapitalistischen Ansatzes, denen sämtliche unserer aktuellen heimischen Akteure, die sich nun in diese Diskussion einbringen und sich in Führungspositionen drängen, um ihre Produkte zu vermarkten, oder sich als attraktiver Arbeitgeber zu gerieren, unterliegen.

Bergmann hat sich in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu diesem Missbrauch, der Verwässerung und den eigenwilligen Auslegungen seines Modells auch selbst bereits kritisch geäußert. [4]

Genaugenommen war es unter anderem Bergmanns Ansinnen mit “New Work” ein Gegenmodell zum Kapitalismus zu erschaffen, in welchem Menschen Sinn finden und ihre Potenziale voll entfalten können. Das, was Unternehmen aktuell also anbieten und worum sich der Diskurs vermehrt dreht, sind Entscheidungsfreiheiten zwischen Alternativen, welche vom Unternehmen vorgegeben werden, in der Annahme das würde etwas ändern und dazu beitragen, dass Menschen motivierter, oder leistungsbereiter sind.

Sinn = Zwanglosigkeit = Flow

Was Bergmann mit New Work allerdings anstrebt, ist eine absolute Handlungsfreiheit auf allen Ebenen. Diese Handlungsfreiheit basiert auf dem Wunsch nach Sinn, also nach wahrhaftigen Zielen, die unmittelbar kausale Wirkungen zeigen und dem Menschen das Gefühl geben, etwas zu bewegen und damit etwas wert zu sein – ja, eine Daseinsberechtigung zu geben, wenn man den Schriften von Viktor Frankl [5] , dem Begründer der Sinnlehre, folgen möchte.

Die Kindheit fühlt sich für viele Menschen an wie eine Ewigkeit. In späteren Jahren erscheint es uns oft so, als würde die Zeit mit zunehmendem Alter immer schneller vergehen. Erzählungen und Gedanken bezüglich unserer Erlebnisse in der Kindheit zeigen, dass Kinder und Jugendliche – speziell außerhalb der genormten Strukturen wie Schule, oder Ausbildung – zumeist völlig frei entscheiden, wie sie ihren Tag gestalten. Dadurch passiert etwas Wunderbares: Es entsteht ein Zustand, Flow [6] genannt, in welchem der Mensch völlig aufgeht und zu Dingen in der Lage ist, die Beobachter oft nur staunen lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Tätigkeit persönlichen Sinn hat, ist meiner Meinung nach ungleich höher, wenn die Handlung aus rein intrinsisch motivierter Absicht heraus getätigt wurde und die Erfüllung eines tief verwurzelten Bedürfnisses stattfinden kann.

Sinn [7] ist gänzlich zwanglos und führt automatisch zu Motivation – ein Lieblingsthema in vielen Management Seminaren: “Wie motiviere ich meine Mitarbeiter?”. Motivation kann nicht durch künstliche Antreiber wie Bonuszahlungen, bunte Büros, nett gemeinte Weihnachtsgeschenke, oder Entscheidungen über Home Office Zeiten, entstehen. Motiviert sind Menschen dann, wenn das, was sie tun, sichtbar Mehrwert [8] stiftet, zum eigenen und auch zum Wohl Anderer beiträgt, sie sich zugehörig, wertgeschätzt, autonom und fair behandelt fühlen und sie eine Gewissheit darüber erlangen können, was die nahe Zukunft bringt und sie sich bei deren Gestaltung auch aktiv einbringen können. [9] Das ist es, wofür New Work für mich steht.

Sinn entlastet auch das Management

Und genau an dieser Stelle entsteht trotz obiger Kritik an den Eigeninterpretationen meiner Meinung nach auch die Chance für eine Win-Win Situation zwischen Unternehmen und Angestellten. Wenn ein Unternehmen in der Lage ist, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in welchem Sinn gefunden werden kann, dann werden sich einige Menschen auch auf die Suche danach begegeben. Und das führt nicht nur zu Wettbewerbsvorteilen, da Menschen plötzlich wie Unternehmer zu denken beginnen und sich völlig freiwillig – mit allem was sie haben – für die Zielerreichung einsetzen, sondern es wird auch zur Entlastung des Managements kommen, da Koordinations- und Kontrollfunktionen abnehmen. Ich denke, dies wird auch eine neue Art von Leadership ermöglichen – nämlich sich in Führungspositionen um das zu kümmern, was moderne Führung braucht: Menschen dabei zu unterstützen, die Besten zu sein, die sie sein können, Kommunikation zu fördern, Beziehungen zu fördern, Diskurse zu fördern, Wohlwollen und Gemeinschaft zu fördern. Kurz gesagt, Humanismus zu fördern.

Ich wünsche mir also, dass wir aufhören, Begriffe nach unseren eigenen wirtschaftlichen Bedürfnissen zu interpretieren und zu missbrauchen, denn so verlieren sie ihren eigentlichen Wert und werden zu Verunstaltungen, welche am Ende vom Publikum ausgelacht oder sogar gehasst werden.
Meine Einladung lautet daher an dieser Stelle, gemeinsam in den Diskurs zu gehen, um die Idee und den Wert des New Work Gedankens zu sichern.

Über den Autor:
Oliver Perner, SF* Enterprise Agile Coach, Flight Levels Coach und Management Consultant, beschäftigt sich beruflich mit Möglichkeiten zu mehr kostruktiver und wertstiftender Arbeit.

Kontakt: www.buildingbridges.at
Austauschplattform: https://www.meetup.com/de-DE/Innovation-and-Agile/

*SF: Solution Focus

Foto: Ian Schneider on Unsplash

Referenzen:

  1. Frithjof Bergmann: “Neue Arbeit, neue Kultur” arbor Verlag, 2004
  2. Frithjof Bergmann: “Die Freiheit leben” arbor Verlag, 1977
  3. Reinhard K. Sprenger: “Radikal digital: Weil der Mensch den Unterschied macht – 111
    Führungsrezepte” 2. Edition. Deutsche Verlags-Anstalt, 2018
  4. Interview Frithjof Bergmann FAZ:
    https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/philosoph-bergmann-im-interview-ueber-die-neue-arbeit-16244996.html
  5. Viktor Frankl: “Wer ein Warum zu leben hat: Lebenssinn und Resilienz” 3. Edition. Beltz, 2017
  6. Mihály Csikszentmihalyi: “Das flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile: im Tun aufgehen” 10. Auflage. Klett-Cotta, 2010
  7. Fredmund Malik: “Sinn – wenn die Motivation aufgebraucht ist ”, Malik Letter 12/2005. Online:
    https://blog.malik-management.com/wp-content/uploads/2015/08/Malik-Letter_Sinn-Wenn-die-Motivation-aufgebraucht-ist_12-2005.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6.2.2020)
  8. Dr. Markus Ebner: “Erfolgreich führen mit PERMA-Lead: Die fünf Schlüssel zur High Performance” 1. Auflage. Facultas Verlag, 2019
  9. Dr. David Rock: “Your brain at work, Revised and Updated: Strategies for Overcoming Distraction, Regaining Focus, and Working Smarter All Day Long “ 1. Edition. Harper Business, 2020