Bereits zum dritten Mal ging am Mittwoch, 10. April, das Business Breakfast der Jungen Wirtschaft Wien in Kooperation mit der Tageszeitung KURIER über die Bühne. Dieses Mal drehte sich alles um ein Thema, das die Medien in den vergangenen Wochen und Monaten dominiert hat wie kaum ein anderes: den bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, umgangssprachlich auch gerne „Brexit“ genannt. JWW-Vorsitzende Barbara Havel gab in ihrer Keynote einen Überblick über die Ereignisse seit dem Referendum im Jahr 2016 und zeigte die Pro- bzw. Kontra-Argumente der Befürworter und Gegner auf. Außerdem stellte sie die Frage in den Raum, welche Auswirkungen der Austritt Großbritanniens auf die österreichische Wirtschaft haben könnte und verwies darauf, dass sich allein im Vorjahr 17 britische Unternehmen in Wien angesiedelt haben – der Brexit kann also durchaus auch Chancen bergen.

Im Anschluss startete eine hochspannende Diskussion unter der Moderation von Robert Kleedorfer, Redakteur der Tageszeitung KURIER. Das Podium setzte sich wieder aus hochkarätigen Experten zusammen, die zwar unterschiedliche Sichtweisen einbrachten. In einer Frage waren aber alle einig: Ein Brexit wäre sowohl für Großbritannien als auch die Europäische Union von Nachteil. Folgende Gäste durften wir begrüßen: Prof. MMag. Dr. Harald Oberhofer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am WIFO; MMag. Christian Mandl, Leiter der Abteilung EU-Koordination in der WKO; Peter Androsch, Vorstandsmitglied bei BARDO und geschäftsführender Gesellschafter des Austrian Credit Insurance Counsel; sowie Gary Howard, britischer Musiker bzw. Schauspieler und den meisten im Publikum noch aus seiner Zeit bei der A-Capella-Truppe „Flying Pickets“ bekannt.

 

Großbritannien, das ungezogene Kind

Zu Beginn stand natürlich die bevorstehende EU-Sondersitzung im Mittelpunkt der Debatte, die ebenfalls am 10. April angesetzt war. Aus Sicht von Gary Howard wolle niemand in der EU dafür verantwortlich sein, Großbritannien via eines harten Brexit aus der Union zu katapultieren: „Wir werden wohl damit davonkommen, wie ein ungezogenes Kind“, so Howard, der auch die Teilnahme Großbritanniens an der bevorstehenden EU-Wahl kritisch sah: „Wenn Großbritannien sich an der EU-Wahl beteiligt, gibt es noch mehr Chaos.“ Peter Androsch stimmte dem vollinhaltlich zu und wünschte sich vom Sondergipfel eine klare Entscheidung. „Ich fürchte aber, dass weitergewurschtelt wird“, so die etwas düstere Prognose des Kreditversicherungs-Spezialisten. Klare Worte fand auch Christian Mandl: „Keiner weiß so recht, was die Briten eigentlich wollen oder was in der britischen Regierung mehrheitsfähig ist. Gibt es keine Lösung, ist ein harter Brexit unvermeidlich. Die EU wird sich allerdings in der Sondersitzung sicherlich nicht den schwarzen Peter zuschieben lassen.“ Premierministerin Theresa May müsse daher sehr gut begründen, warum eine weitere Verschiebung des Austritts notwendig sei. Für Harald Oberhofer war klar: Es wird einer weiteren Verlängerung zugestimmt, gleichzeitig wird sich der Druck auf Theresa May weiter erhöhen. „Die EU muss auch auf Irland achten. Von den verbleibenden EU-Ländern wird Irland schließlich am stärksten betroffen sein, wenn Großbritannien die Union verlässt“, so der Wirtschaftsexperte.

 

Auswirkungen auf die EU-Wahl

Eine Aufschiebung des Brexit hätte Auswirkungen auf die Europa-Wahl Ende Mai: „Wenn sich Großbritannien an der Wahl beteiligt – mittlerweile wurde ein Wahltermin fixiert, für alle Fälle – dann wird sich das Kräfteverhältnis komplett verschieben“, so Christian Mandl. Für ihn grenze es an „Chuzpe, wenn die Briten die politischen Geschicke der EU für die nächsten fünf Jahre mitbestimmen wollen, dann aber austreten“. Die EU-Wahl würde nach Ansicht von Gary Howard vor allem EU-Skeptiker ins EU-Parlament spülen; weiteres Chaos sei damit vorprogrammiert.

 

Zollunion als Lösung für Irland

Manche Dinge wie etwa die Frage der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland seien überhaupt nicht richtig durchdacht worden: „Wenn ein Land darauf besteht, eigene Handelsabkommen zu schließen, dann braucht es Grenzen zur EU und damit auch zu Irland. Großbritannien will allerdings eine offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland – das ist nicht machbar“, so Christian Mandl. Aus seiner Sicht wäre die beste Lösung in dieser Frage eine Zollunion. Diese könnte zwar mehrheitsfähig sein, aber auch die innenpolitische Spaltung weiter vorantreiben. Denn letztlich sei der Brexit eine innenpolitische Angelegenheit: „Die Tories sind seit Jahrzehnten gespalten, und auch die Labour-Partei ist nicht unbedingt einig“, zeigte Gary Howard auf. Labour-Chef Corbyn wolle Theresa May los werden und sei selbst sehr EU-skeptisch, während May ursprünglich zum Lager der „Remainers“ gezählt habe.

 

© David Pan – www.davidpan.at

 

Hard Brexit hätte langfristig negative Folgen

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen für Großbritannien und die EU seien mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Aus Sicht von Peter Androsch müsse man überall dort, wo Wirtschaft betrieben wird, mit Problemen rechnen: „Das Inlandsgeschäft in Großbritannien ist bereits betroffen. Wir können davon ausgehen, dass es noch in diesem Jahr zu einem Anstieg der Insolvenzen kommen wird. Einige Kreditversicherer in Europa haben vor diesem Hintergrund bereits weitreichende Limit-Restriktionen angekündigt. Die gute Nachricht für Österreichs Exporteure nach Großbritannien ist, dass die führenden österreichischen Kreditversicherer (Acredia, Atradius, Coface) derzeit keine generellen Einschränkungen planen, sondern den Exporteuren bei ausreichender Bonität der britischen Abnehmer weiterhin offene Kreditlinien zur Verfügung stellen“. Richtig dramatisch wären die Auswirkungen im Fall eines harten Brexit, also eines Austritts ohne Abkommen. Großbritannien wird dann zum Drittstaat und unterliegt somit allen Zollbestimmungen der EU – importierte Waren werden teurer, es kommt zu Zollkontrollen an der Grenze. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

„Die österreichische Außenwirtschaft hat erst dann ein Problem, wenn Deutschland ein Problem hat“, meinte Harald Oberhofer. Eine sofortige Rezession hielt er für unwahrscheinlich, allerdings werde ein harter Brexit eine heftige innenpolitische Krise in Großbritannien nach sich ziehen: „Langfristig wären die Effekte eines Hard Brexit negativer, und das Gesprächsklima mit der EU würde sich vermutlich auch verschlechtern.“ Erschwerend komme der Umstand hinzu, dass Großbritannien in wirtschaftspolitischen Fragen immer jenes EU-Mitglied gewesen sei, das auf Liberalität und ein Mehr an Freihandel gesetzt habe, während beispielsweise Frankreich einen gegenteiligen Kurs verfolge und mit dem Austritt Großbritanniens entsprechend mehr Gewicht erhalte.

 

Notfallmaßnahmen für Briten in Österreich

Österreich habe jedenfalls bereits Notfallmaßnahmen gesetzt, damit beispielsweise nicht der gesamte Flugverkehr von einem Tag auf den anderen stillstehe – denn auch dieser wäre von einem harten Brexit unmittelbar betroffen, so Christian Mandl. Und: „Theoretisch bräuchten die Briten bei der Einreise in die EU nach dem Brexit auch ein Visum.“ Zusätzlich ändern sich die Ein- und Ausfuhrbestimmungen für Reisende oder die Zölle für Spediteure. Für die rund 11.000 Briten, die in Österreich leben und arbeiten, gibt es bereits Lösungen: Wer schon länger als fünf Jahre im Land lebt und arbeitet, kann um eine unbegrenzte Aufenthaltsbewilligung ansuchen. Wer seit mindestens drei Monaten in Österreich ist, erhält erleichterten Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Card Plus. Kuriosum am Rande: Da Großbritannien Doppelstaatsbürgerschaften erlaubt, können Briten, die in EU-Ländern leben, die dortige Staatsbürgerschaft annehmen und negative Auswirkungen des Brexit abzufedern. Bewohner Nordirlands haben zusätzlich das Recht, die Staatsbürgerschaft der Republik Irland anzunehmen und so einen EU-Pass zu erhalten – was in den vergangenen Wochen bereits tausendfach geschehen ist.

 

Brexit, quo vadis?

Wie es weitergeht, stand am Ende der Diskussion in den Sternen. Aus Sicht von Harald Oberhofer ist der gesamte Prozess durchaus auch ein Vorteil bzw. eine Chance: „Die Zustimmung zur EU ist in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen. Es braucht jetzt mehr positive Projekte, die den Mehrwert der EU vermitteln.“ Ähnlich sah das Christian Mandl, der auch an die Junge Wirtschaft Wien appellierte: „Sprecht die negativen Konsequenzen des Brexit an. Macht euch für die proeuropäischen Kräfte stark. Motiviert eure Mitarbeiter, zur EU-Wahl zu gehen.“

Gary Howard glaubte, dass der Sondergipfel noch einmal eine Galgenfrist für Großbritannien mit sich bringen wird. Das Hauptproblem des Brexit sei, dass sich Großbritannien nicht mit den Folgen befasst und die Realität ignoriert habe. „Erst jetzt realisieren die Menschen langsam, welche Konsequenzen der Brexit haben kann“, so Howard, der auf die Frage, wie er selbst als zeitweise in Österreich lebender Brite mit der Situation umgehe, mit britischem Humor reagierte: „Ich ignoriere die Realität.“

Impresssionen vom Business Breakfast – Copyright WKW/David Pan

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